„Wär schön gewesen!“ – Der Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann

Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann (Quelle: Aisthesis Verlag)

Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann (Quelle: Aisthesis Verlag)

Am 15. Februar 2013 erscheint im Aisthesis Verlag unter dem Titel Wär schön gewesen der Briefwechsel zwischen Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann. Die in diesem Band erstmals veröffentlichte Korrespondenz schließt eine Lücke in den bereits erschienenen Briefwechseln der DDR-Schriftstellerin und ermöglicht Einblicke in das private und berufliche Zusammenleben des Autorenpaares.
Der Briefwechsel gibt zudem Auskunft über Ereignisse, die Brigitte Reimann in ihren Tagebüchern nicht thematisiert, und lässt bislang unbekannte Facetten der Autorin entdecken. Die zwischen 1958 und 1971 entstandenen Briefe zeugen darüber hinaus von der Euphorie der Künstler in der Frühzeit der DDR; sie geben ein authentisches Zeugnis aus der Zeit des „Bitterfelder Weges“ und der „Ankunftsliteratur“ und berichten vom Leben und Schreiben der Schriftsteller in der noch jungen Republik.
Der Band ist illustriert mit Fotografien, die während der gemeinsamen Jahre entstanden. Auch eine Auswahl aus den 54 Zeichnungen, die Siegfried Pitschmann für Brigitte Reimann angefertigt hat, wird hier zum ersten Mal veröffentlicht.

Herausgeberin Kristina Stella forscht seit mehr als einem Jahrzehnt zu Leben und Werk Brigitte Reimanns.

ISBN 978-3-89528-975-0, 312 Seiten, geb., 24,80 €

Leseprobe

An Siegfried Pitschmann
Lagebericht Nr. IV, B., am 2.6.[1958], nachts

Mein allerliebster Freund,
ich muß Dir noch paar Zeilen schreiben, um mir vorzuspiegeln, ich spräche mit Dir. Ich kann und kann nicht arbeiten, die Gedanken zerrinnen mir, und am Ende steht nur noch die Frage: Was tun? Ich quäle mich schrecklich wegen Günter.
Ich habe hundertmal den Abschied von ihm vorausgelebt und – gelitten. Es tut so verflucht weh – die Wirklichkeit kann kaum schlimmer sein.
Bitte, bitte, Liebster, versteh mich, ich will Dir keine Schmerzen machen, und Du darfst nicht traurig oder böse sein, weil ich immerzu an Günter denken muß. Diese fünf Jahre … Aber Du weißt, daß ich Dir, Dir und nur Dir gehöre, und daß ich mit Dir leben will und werde, Du weißt es, Liebster. Nur – der Weg ist so steinig, und meine Füße bluten. Wenn Du hier wärst, Dan, wär alles leichter. Daß ich mit alldem allein fertig werden muß … Ich bin ganz kaputt innen, und ich sehne mich so sehr nach Dir, daß mein Herz und mein Körper wahnsinnig schmerzen. Wenn der Günter weg ist – Du mußt mich festhalten und bißchen Geduld haben, versprich es mir! Und Du darfst keine Sekunde lang an mir zweifeln, niemals und unter keinen Umständen, was immer geschehen mag. Mein süßer, wunderbarer, zärtlicher Dan, ich gehöre Dir mit Leib und Seele und mit jedem Blutstropfen, ich schwöre es Dir.

Dein Delta-Mädchen

 

[Nachtrag]
am 3.6.[1958], morgens

Mein lieber Jota-Mann,
heut nacht hättest Du bei mir sein müssen: Ich träumte etwas ungewöhnlich grauenhaftes, gespenstisches, und dann erwachte ich vom vielen Klopfen an meinem Fenster. Es war gegen 3 Uhr und schon bißchen dämmrig, und ich stand sofort auf und ging ans Fenster. Niemand war da. Und ich kann’s beschwören, daß ich das Klopfen nicht geträumt hab – es war so, ganz real, genau die Zeit, in der Günter zu klopfen pflegte, wenn er nachts betrunken nach Haus kam. Während der paar Sekunden, als ich aufstand und das Fenster öffnete, war ich fest überzeugt, ich werde ihn nun sehen, wie ich ihn hundertmal im Garten gesehen hab: bißchen frech vor Verlegenheit, eine Hand auf dem Fensterbrett, um sich aufrecht zu halten; mit dem unsicheren Lächeln des Schuldbewußten.
Wie ich dann wieder im Bett lag, war ich minutenlang noch ganz steif vor Entsetzen. Ich hätte weiß Gott was gegeben dafür, wenn Du bei mir gelegen hättest, und ich hätte Dich umarmen und die Wärme Deines Körpers spüren dürfen, und Du hättest mich bißchen ausgelacht und mein Gesicht gestreichelt, und dann wären wir wieder eingeschlafen.
Heute morgen war ich imstande, mich für eine ganze Stunde in echte Abneigung gegen Günter hineinzureden. Ich hab mir all die Abende und Nächte zurückgeholt, in denen er betrunken heimkam und ich [ihn] haßte vor Verzweiflung. Und doch – mein Gewissen läßt mir keine Ruhe. Wenn ich nur die Aussprache endlich hinter mir hätte! …
… Ich geh jetzt Arbeit, Jota-Mann. Und vorher: tausend zärtliche Küsse für Dich.

Deine Brigitte

 

An Brigitte Reimann
Montag, 2. Juni [1958], (3. Tag ohne Dich)

Was sind das für Tage ohne Dich, mein liebstes süßes Delta-Mädchen,
mich wundert, wie ich einfach so herumgehen kann, daß alle jene Lebensfunktionen weiterlaufen können, daß ich überhaupt weiterlebe wie ein halbwegs normaler Mensch, oder das, was man als halbwegs normal annimmt.
Weiß Gott, es gibt einen fließenden Wechsel von Traurigkeiten zu irgendwelchen Hochgefühlen, Hochstimmungen, fast krankhaft übersteigert, die alsbald wieder abkippen, umschlagen in Melancholie oder gar Mutlosigkeit, – ein ewiges Auf und Ab: eine Art Liebe-Krankheit, erregt durch die Trennung des lebenswichtigsten Teiles von mir weg, gefährlich infektiös, (besonders die Hirnkammern mit literarischem Anteil und allen Dingen des Schreibens, die dazugehören, betreffend), nur heilbar durch Radikal-Fusion mit dem zurzeit abgetrennten, geliebten, so wahnsinnig irrsinnig geliebten Teil. Gestern kam ich, nach einem hoffnungsvoll begonnenen, aber bald in Nutzlosigkeit und Unvermögen versickernden Vormittag, und nach einer zwar ganz einigermaßen erträglichen, jedoch irgendwie traurig machenden, zudem ermüdenden Familiengeburtstagsfeier, (Du kennst derartige auf Eintracht, Wohlwollen und Familienglück machende Veranstaltungen, in denen lähmend nichts geschieht, sicherlich auch), gestern kam ich also endlich nicht dazu, Dir zu schreiben, und vielleicht war dieses Nicht-Dazu-Kommen auch einigermaßen gewollt oder halbgewollt oder nur günstig; denn ich hätte Dir einen jämmerlichen, total traurigen, mutlosen, mutlos machenden Scheißbrief geschrieben, ein erbärmlich unfähiges Surrogat. Verzeih meine heilsame Unterlassung. Heute habe ich fünfeinhalb Zeilen des neuen Kapitels fertiggebracht …
Meine unerreicht süße Delta-Hermaphrodite, mein wunderbares invertierendes Mann-Mädchen-Geschöpf, Du eröffnest mir neue Gefühls- und Empfindungs-Qualitäten, die ich vielleicht schon lange unbewußt (unterschwellig) herbeigewünscht habe, und ich glaube beinah, daß Du wildes heißes Raubkatzentier es fertigbringen würdest, eine Form, wenigstens zeitweilig, von Wahnsinn oder Irresein bei mir herbeizuführen, und ich wäre Dir noch dankbar dafür. Ich bin Dir überhaupt dankbar für alles, was von Dir kommt, mag es total widersinnig oder vernünftig, gesetzlos oder in der Ordnung, wild oder sanft und zärtlich, nüchtern, hart und erbarmungslos oder poetisch sein.
Ich habe beim Aufmachen des Briefes buchstäblich gezittert vor Aufregung. Du schreibst wunderbare Briefe, meine wunderbare Geliebte, und ich wünsche mir, daß ich jeden Tag einen solchen Brief bekommen würde.
Natürlich wird alles gut werden, Liebste mit den schönsten Mongolenaugen, natürlich wird es gut. Es geht garnicht anders. (Ich bange zwar um Dich und das gewisse Bevorstehende, und ich werde verrückt bei dem Gedanken, daß ich Dich aus weiß der Teufel was für Gründen doch noch verlieren sollte, und ich könnte mich zerfleischen bei der Vorstellung, wie Du jemandem, dem Du durch langes Erlebnis, lange Gemeinschaft in Liebe, – oder das, was Du für Liebe hieltest, – durch Konvention, Gefühl und Gewöhnung verbunden, ja doch immer noch verbunden bist, Zärtlichkeiten oder irgendwas Süßes, Schönes antust, oder nur bereit bist, – aus Mitgefühl, Anstand, Neigung und Not, oder was weiß ich, – ihm eine Art Heimat zu sein, wozu alle Umarmungen zählen). Aber das ist verflucht egozentrisch von mir, und diese Gedanken solltest Du besser nicht von mir wissen oder hören, und vielleicht sind sie auch tatsächlich unwichtig. Ich danke Dir also für Deinen ersten, halb traurigen, halb mutigen, ganz wundervollen Brief. Sag nur immer wieder, wie sehr Du mich liebst.
Heute um acht hab ich so intensiv an Dich gedacht, daß ich mir einbilde, Du hättest es spüren müssen. Mein Gott, was magst Du jetzt gerade, in diesem Augenblick, tun, – was wirst Du morgen und übermorgen, und dann am Sonnabend und den folgenden ungewissen Tagen tun in jedem Augenblick, den ich mir Dich herbeidenke! Hast Du irgendwas erreichen können? Defa ist stumm nach wie vor.
… Liebste, ich brauche Dich so sehr nötig, wie ich niemanden bisher gebraucht habe und nie wieder brauchen werde, – bleib mir erhalten. Du mußt mir immer wieder Mut machen mit der ganzen Kraft Deiner herrlichen Natur und Art, denn ich bin ohne Dich ein schwankend Rohr, ein untauglich unnützes Ding.
Ich liebe Dich bis zum Wahnsinn.

Dein D.

Jota grüßt Delta. Ich küsse Deinen Korinther-Ring

Weitere Auszüge aus dem Briefwechsel in der Sächsischen Zeitung 16./17.02.13